Fragen und Antworten
Hier werden häufig gestellte Fragen veröffentlicht. Die Autorin der Website, Marianne Schauwecker, gibt Antwort und lädt Leser und Leserinnen - sowie Fachleute etc. ein, die Antworten zu ergänzen oder neue Aspekte hinzuzufügen. (Ergänzungen werden explizit als solche bezeichnet.)
Inhalt:
- Ist 'Hochsensibilität' schon wissenschaftlich anerkannt?
- Bin ich wirklich hochsensibel, wenn ein Test dies bestätigt?
- Wie finde ich eine Fachperson (Therapeutin, Arzt...), die auf HS spezialisiert ist?
- Gibt es nicht einen besseren Ausdruck für 'Hochsensibilität'?
- "hochsensibel" oder "hochsensitiv"? Etymologie und Kontroverse
- Wie kann ich eine HSP, die nichts von Hochsensibilität wissen will, für das Thema sensibilisieren?
- Verwirrung: Woher kommen die unterschiedlichen Auslegungen und Typologien beim Thema Hochsensibilität?
- Hochsensibler Mann: Wie erkläre ich meinen Kollegen, dass ich hochsensibel bin?
- introvertiert - extravertiert? ... oder vielleicht ambivertiert?
Ist 'Hochsensibilität' schon wissenschaftlich anerkannt?
Ein Leser schrieb: "Können Sie mir bitte sagen inwiefern "Hochsensibilität" wissenschaftlich annerkannt ist/nachgewiesen werden kann? (Auf mich treffen sehr viele Punkte zu, ich bin aber der Meinung, dass es bei mir erst durch schwere Ereignisse wirklich ausgelöst wurde, resp. ich mich als hochempfindlich empfand.)"
Antwort:
Bis zur wissenschaftlichen Anerkennung eines neuen Fachgebietes dauert es oft viele Jahre, manchmal auch Jahrzehnte. Ein solcher Prozess durchläuft verschiedene Stadien: 1. Fundierte Diskussion des Themas in der Fachpresse, bis man von 2. "herrschender Meinung" oder schliesslich sogar von 3. "allgemeiner Ansicht" sprechen kann.
Der Ausdruck 'Hochsensibilität' existiert seit 1997 (-->Artikel der HS-Pionierin Dr. Elaine Aron in einer angesehenen US Fachzeitschrift: Aron, E. N., & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73(2), 345–368. ). Das Forschungsgebiet ist also wissenschaftlich gesehen noch relativ jung.
Inzwischen hat sich aber vieles getan, wie wir aus dem Artikel "Neues aus der Forschung" ersehen können, welchen die Psychologin Hildegard Marxer, MSc UZH, für diese Website verfasst hat. Sie sagt zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Ausführungen: "Die weit verbreitete Ansicht, die Forschung zum Thema Hochsensibilität stehe noch ganz am Anfang und es fehle an wissenschaftlich begründeten Aussagen, ist definitiv überholt..."
Wachsende wissenschaftliche Anerkennung und persönliches Schicksal sind jedoch zweierlei Dinge: Wenn jemand sich persönlich vom Thema betroffen, berührt, erleichtert oder angesprochen fühlt und viele Punkte zutreffen, dann wird dies seinen Grund und seine Richtigkeit haben: vor allem, wenn Informationen über das Thema sich als hilfreich erweisen für die persönliche Entwicklung und man daraus Nutzen ziehen kann.
Zum anderen Punkt, der in der Frage angesprochen wird (dass Hochsensibilität auch durch schwere Ereignisse erworben sein könnte), folgendes in Kürze: Es wird nicht ausgeschlossen, dass bei einem kleinen Prozentsatz der Betroffenen eine Hochsensibilität (z.B. durch traumatische Ereignisse) auch erworben werden kann. Es könnte sich dabei dann aber auch um eine Traumafolgestörung handeln, welche teilweise ähnliche Symptome zeigt wie sie bei einer angeborenen Hochsensibilität auftreten können. Lesen Sie dazu den Artikel "Traumafolgestörung und Hochsensibilität", den Dr. Barbara Schmugge für diese Website verfasst, siehe "Trauma und HS" in der Rubrik "Aktuelles/Beiträge".
Bin ich wirklich hochsensibel, wenn ein Test dies bestätigt?
Eine Leserin schrieb etwas verunsichert: "...Aus reiner Neugierde habe ich den Test ausgefüllt und erreichte viele Punkte. Anscheinend habe ich aber gelernt mit meiner "Hochsensibilität" umzugehen, denn sie stellt für mich nur in bestimmten Bereichen im Leben ein Problem dar. Nach dem Test kamen mir aber weitere Situationen in den Sinn, welche wirklich auf die Hochsensibilität zurückzuführen wären... Trotzdem, da es nur ein Test war, weiss ich nicht genau, wie ich mit dem Ergebnis umgehen soll. Gibt es eine Stelle, wo ich wie nochmals "abklären" kann, wie Ernst zu nehmen dieses Resultat ist?!..."
Antwort:
Testergebnisse können auf eine Hochsensibilität hinweisen, sind aber nicht entscheidend. Elaine Aron, die Pionierin des Themas erklärt, dass auch jemand hochsensibel sein kann, der/die nur ganz wenige Punkte des Tests erfüllt, diese jedoch in ausgeprägter Form. Genau so kann auch jemand eine hohe Punktzahl erreichen, ohne damit viel anfangen zu können. Häufig sind dies Menschen, bei denen durch die Hochsensibilität kein grösserer Leidensdruck entstanden ist.
Ich empfehle den Suchenden gerne, nach ihrem "Bauchgefühl" zu gehen:
Wenn Sie - wie im obigen Beispiel - keine Probleme haben mit ihrer Hochsensibilität (und es gibt gottseidank sehr viele HSP, bei denen dies der Fall ist!), fände ich es schade, wenn Sie nun nach Problemen suchen würden. Ein besorgter Fokus auf mögliche Probleme kann solche auch provozieren oder verstärken. Hochsensibilität ist eine Veranlagung und keine Krankheit, welche unbedingt eine Diagnose braucht. Klar - wenn Ihnen eine Bestätigung einfach wichtig ist, gibt es mittlerweile viele Fachpersonen, welche sich mit Hochsensibilität auskennen, siehe folgenden Link: Hilfe für HSP
Das Beste ist jedoch, wenn Sie sich in diesem Fall locker - und vorwiegend aus Gründen des Interesses - um Ihre sensible Seite kümmern, falls Sie Lust dazu verspüren! Und überlegen Sie sich, welche Begabungen und Stärken Sie daraus ziehen können - und wo ihre Schwächen liegen. Benutzen Sie also das Thema, um ein tieferes Verständnis für sich selber zu gewinnen.
Es gibt jedoch sehr viele Menschen, die beim Lesen eines Buches oder einer Website über Hochsensibilität eine echte Erleichterung spüren oder sogar tief aufgewühlt sind, wenn sie erstmals mit dem Thema Hochsensibilität in Berührung kommen. Sollten Sie spüren, dass Ihnen grosse Steine vom Herzen fallen und Sie über dieses Thema unbedingt noch viel mehr wissen wollen, dann geht Sie das Thema auch direkt und persönlich etwas an! Es schreiben mir viele Leute, die eine wirklich intensive Befreiung spüren bei der Entdeckung ihrer Hochsensibilität (lesen Sie z.B. nach unter den "Persönlichen Berichten)": Endlich - vielleicht erst nach vielen Jahren - wissen sie, was tatsächlich mit ihnen los ist - das ist für viele ein entscheidender Wendepunkt im Leben! Michael Jack von hochsensibel.org nennt dieses Geschehen den "Gebirgsketteneffekt".
Es gibt leider auch viele Hochsensible, die im Laufe ihres Lebens durch ihre sensible Veranlagung einen Leidensdruck entwickelt haben, eventuell auch psychische Schwierigkeiten oder Probleme. Diese HSP haben sich vielleicht immer wieder gefragt: "Was ist eingentlich mit mir los, warum fühle ich mich so "anders", warum leide ich? Solchen HSP empfehle ich ein Gespräch mit einer Fachperson, denn manchmal braucht es einen therapeutischen Weg, um alte Wunden zu heilen.
So wünsche allen, dass sie einmal sagen können: "Meine Hochsensibilität hat mir manchmal viele Stolpersteine und ev. auch psychische Probleme beschert, aber ich möchte sie um nichts in der Welt mit einer 'normalen Sensibilität' austauschen."
Wie finde ich eine Fachperson (Therapeutin, Arzt...), die auf HS spezialisiert ist?
Häufige Frage: Da mir diese Frage oft gestellt wird, gibt es auf dieser Website seit Sommer 2008 eine wachsende Liste von TherapeutInnen, BeraterInnen, ÄrztInnen, die sich mit Hochsensibilität auskennen (ebenso eine Liste von Gruppen für HSP). Diese Listen sind auf die Schweiz bezogen. Für Deutschland und Österreich wird im Kapitel "Hilfe für HSP" auf entsprechende Websites hingewiesen.
Links zu den Listen: von TherapeutInnen/BeraterInnen/ÄrztInnen und von Gruppen für HSP
Hochsensibilität gilt in der Psychologie wissenschaftlich gesehen noch als ein jüngeres Phänomen, obwohl die Wurzeln der Thematik zeitlich weit zurück reichen. Als ich ab 2007 diese Website zu entwickeln begann, war HS noch nahezu unbekannt im deutschsprachigen Raum, und ich machte sehr häufig die Erfahrung, dass auch therapeutische Fachpersonen den Begriff "Hochsensibilität" als wissenschaftlichen Begriff, wie ihn Elaine Aron geprägt hat, noch gar nicht kannten. Inzwischen hat das Thema "Wurzeln gefasst" und ist generell kein unbekannter Begriff mehr.
Dennoch ist es gerade für HSP nicht immer einfach, im "Therapeutendschungel" die passende Person zu finden. Nicht selten berichten mir Hochsensible, dass der/die Therapeut/in (Ärzt/in...) das Thema HS noch nicht wirklich ernst nimmt - und somit eigentlich den Hilfe suchenden Menschen auch nicht wirklich verstehen und begleiten kann.
Dabei sollte man doch erwarten können, dass in Heilberufen tätige Fachpersonen nicht spezialisiert sein müssten auf Hochsensibilität, um einen Hilfe suchenden Menschen ernst zu nehmen: es gilt als ein Grundprinzip in therapeutischen Berufen, dass ein Klient, eine Klientin "ernst genommen wird", mit welchem Problem auch immer dieser Mensch kommt. Nimmt Sie also eine entsprechende Fachperson nicht ernst, liegt das nicht an Ihnen, sondern eher daran, dass diese Person offenbar für ihren therapeutischen Beruf nicht geeignet zu sein scheint, zumindest was Verständnis und Einfühlung anbelangt.
Darum möchte ich alle, die eine therapeutische Begleitung suchen und nicht sofort jemanden mit Kenntnis über Hochsensibilität finden, ermutigen: Gehen Sie ganz sorgfältig und möglichst selbstbewusst an diese Suche heran: in erster Linie zählt in einer Beziehung zur Therapeutin, zum Arzt..., dass "die Chemie stimmt", dass man das Gefühl entwickeln kann: "da bin ich akzeptiert so wie ich bin, und da begleitet mich ein Mensch, der auch bereit sein würde, sich auf Hochsensibilität einzulassen, falls er darüber noch nicht viel weiss..."
Häufig können einem auch Vertrauensärzt/innen, FreundInnen oder Bekannte gute Adressen vermitteln.
Gibt es nicht einen besseren Ausdruck für 'Hochsensibilität'?
Es gibt nicht wenige HSP, die sich am weitesten verbreiteten Ausdruck "Hochsensibilität" stossen und oft auch in anderen Ausdrücken wie "Hochempfindlichkeit" oder "Hochsensitivität" keinen befriedigenden Ersatz finden. Normalsensible Menschen, so heisst es häufig, hätten Vorurteile gegenüber dem Ausdruck, oder sie würden sich durch das Wort provoziert fühlen und HS als Thema nicht ernst nehmen. Oft hört man auch, Hochsensible/Hochsensitive würden sich für etwas Besseres, Besonderes halten (wohl wegen dem Wort "hoch"). Oder: das Thema werde in die "Esoterik-Ecke" geschoben und dort mit allen möglichen anderen Phänomenen verbunden. Das stört viele HSP, so dass sie sich teilweise gar diskriminiert fühlen und den Ausdruck im Austausch mit anderen Menschen lieber vermeiden. Sie wünschen sich einen wissenschaftlicheren oder umfassenderen Ausdruck, um ernster genommen zu werden - z.B. auch von Ärztinnen oder Psychologen, welche das Phänomen noch nicht kennen. (siehe dazu die oben stehende Frage!)
Elaine Aron prägte als wissenschaftlichen Begriff für Hochsensibilität den Ausdruck "Sensory-Processing Sensitivity (SPS)", was soviel bedeutet wie "eine Sensibilität, die von einem Nervensystem verursacht wird, das unablässig Informationen mit all ihren subtilen Details aufnimmt und weiterleitet" (Zitat aus der SWR-Radiosendung "Reizüberflutet"). Natürlich eignet sich eine solch ausführliche Bezeichnung nicht für die Alltagssprache, zudem gibt es momentan noch keinen entsprechenden wissenschaftlichen Ausdruck in deutscher Sprache. Wem der Ausdruck jedoch liegt, kann Hochsensibilität durchaus "SPS" nennen, "sensory-processing sensitivity". Wichtig ist dabei, dass man das Phänomen auch entsprechend umschreiben und klar vertreten kann und nicht nur bei Sätzen wie "man ist halt speziell empfindlich" hängen bleibt.
Ich kann die Schwierigkeiten mit dem Wort "Hochsensibilität" teilweise nachvollziehen und umschreibe das Phänomen gerne zuerst, bevor ich es benenne. Man kann bei einer Erläuterung des Begriffes heutzutage bereits wissenschaftliche Untersuchungen des Gehirns erwähnen, welche belegen, dass die Wahrnehmungszentren bei hochsensiblen Menschen - z.B. während eines Vergleichstests - deutlich höher aktiviert sind als bei nicht hochsensiblen. Viele Hochsensible sind dankbar, dass das Phänomen einer erhöhten Sensibilität ("im Volksmund 'Hochsensibilität' genannt") durch Dr. Elaine Arons Forschungsarbeit jetzt auf dem Weg ist, wissenschaftlich erfasst zu werden (vgl. Kapitel Wissenschaftliches), und letztlich ist diese Tatsache entscheidend - und nicht ein Name, der sich als Ausdruck mittlerweile schon viel zu sehr ausgebreitet hat, als dass man ihn einfach schnell umändern könnte.
Von Vorteil ist es übrigens auch zu erwähnen, dass es sich bei Hochsensibilität nicht um eine Krankheit handelt (siehe das Kapitel "Hochsensibilität ist keine Krankheit").
Wichtig ist für mich bei diesem Thema auch folgender Punkt: Viele hochsensible Menschen erfahren sich in ihrem Leben häufig in der Opferrolle, weil sie jahrelang keine Chance hatten, ihrer Natur gemäss zu leben und weil sie naturgemäss äusserst verletzbar sind. Es ist eine wichtige Aufgabe, unabhängiger zu werden von der Meinung anderer. Angst, nicht ernst genommen zu werden, sollte mit der Zeit einer gesunden Selbstakzeptanz und Eigenverantwortlichkeit weichen, so dass es letztlich weniger wichtig erscheint, wie andere einen beurteilen und was sie über unsere hochsensible Veranlagung denken. So eine Entwicklung braucht Zeit und Geduld und die innere Bereitschaft, die Opferrolle zu verlassen.
Weitere Ausführungen zum Begriff der Sensibilität im Kapitel "sensibel - unsensibel" und in der nachfolgenden Frage "hochsensibel" oder "hochsensitiv?"
"hochsensibel" oder "hochsensitiv"?
Etymologie und Kontroverse
(siehe zu diesem Thema auch die obige Frage)
hochsensibel? oder hochsensitiv? oder doch besser hochempfindlich, wie der Österreicher Georg Parlow in seinem Standardwerk "Zart besaitet" schreibt? hochempfindsam, hypersensibel... - es gibt noch weitere Kombinationen. Neuerdings wird auch vermutet, dass es sich bei der sogenannt "hochreaktiven Persönlichkeit" um HSP handeln könnte. Nebst HSP, was ja wie im Englischen die Abkürzung für hochsensible Person/en ist, hört man immer häufiger auch den Plural "die HSPler" (was genau gesagt "die hochsensiblen Personenler" bedeutet:-) - oder HSM: meistens sind damit hochsensible Menschen gemeint, einige verstehen darunter aber hochsensible Männer... Selbstverständlich gibt es auch das HSK - das hochsensible Kind, (fehlt nur noch HSH - der hochsensible Hund:)...
Dass es im Volksmund mehrere Ausdrücke für ein- und dasselbe gibt (gerade im Deutschen ist die Vielfalt besonders gross...), ist in unserer lebendigen Sprache und Sprachentwicklung normal, gerade wenn es um eine neue Thematik geht, die noch intensiv erforscht wird und noch nicht wissenschaftlich festgelegt ist. Solange die verschiedenen Wörter wertfrei in ähnlichem Sinne verwendet werden, entsteht auch kein Konflikt, es sei denn, dass Menschen, die das Thema neu für sich entdecken, zu Beginn vielleicht eine gewisse Verwirrung ob der "Wörtervielfalt" erfahren.
Als ich ca. 2002 zum Thema stiess, wurden im deutschen Sprachraum erst die Begriffe hochsensibel und hochempfindlich gebraucht, und das Thema war noch nahezu unbekannt. Es gab erst zwei deutschsprachige Bücher und drei Websites zum Thema. Das Standardwerk der HS-Pionierin Elaine Aron, "The Highly Sensitive Person", wurde mit "Sind sie hochsensibel?" übersetzt.
Ich bin bis heute (in abwartender Haltung) - beim Wort hochsensibel geblieben, bis vielleicht einmal im Laufe der Forschung ein allgemeingültiger Ausdruck anerkannt wird. Der Grund: es ist bis heute das am weitesten verbreitete Wort geblieben, und 'Wortklauberei' ist m.E. weniger wichtig als eine allgemeine Verständlichkeit und dereinst eine wissenschaftliche Anerkennung, wobei dann wohl ein definitiver Ausdruck festgelegt wird.
Zwischen den Ausdrücken hochsensibel und hochsensitiv stehen kontroverse Ansichten (siehe weiter unten). Und immer wenn ich mit der Frage "was stimmt nun?" konfrontiert werde, suche ich zuerst nach den sprachlichen Wurzeln und der Geschichte eines Wortes: "etymologische Spaziergänge" faszinieren mich einfach, weil sie die verschiedenen Wege aufzeigen können, welche ein Wort bis in die Gegenwart in verschiedenen Sprachen "gegangen" ist.
ETYMOLOGIE:
Das Wort "sensibel" stammt ursprünglich vom lateinischen Substantiv "sensus", (Verb: sentire - wahrnehmen, fühlen, empfinden; Adjektiv: sensibilis - empfindlich, empfindsam, feinfühlig, der Wahrnehmung fähig;
"sensitiv" - respektive "sensitivus" - existiert noch nicht in den altlateinischen Wörterbüchern und erscheint erst im Mittellateinischen mit ähnlichen Bedeutungen.
"Sensus" hat wie viele lateinische Wörter mehrere verschiedenartige Bedeutungen:
Einerseits: Sinn - entsprechend den menschlichen Sinnen, Gefühl, Empfindlichkeit, Wahrnehmung, Empfindungsvermögen... Diese Bedeutungen widerspiegeln sich in den deutschen Wörtern Sensibilität, sensibel, sensitiv, (eine analoge Entwicklung beobachtet man im Französischen).
Andererseits: bedeutet das lateinische Ursprungswort sensus aber auch Sinn - entsprechend "sinnvoll", "das macht Sinn", Verständnis, Urteil, Verstand, Vernunft... Und in diese Richtung entwickelte sich "sensibilis" offenbar im Englischen, denn dort heisst ja "sensible" vernünftig, sinnvoll - ganz anders als im Deutschen. Im Englischen setzte sich dann wie wir wissen das Wort "sensitive" für empfindlich, sensibel, empfindsam etc. durch.
Englisch und Deutsch haben sich also in dieser Begriffsfindung auseinander entwickelt, obwohl die deutsche Sprache "sensitiv" auch zu verwenden begann (vielleicht beeinflusst vom Englischen?).
Um die Sache noch zu komplizieren: Bei den englischen Substantiven unterscheidet sich die Bedeutung nicht ganz im gleichen Sinne wie bei den Adjektiven! Solche unterschiedliche und manchmal eigenartige Wort-Wege findet man häufig in allen verschiedenen Sprachen mit ihren individuellen Entwicklungen über die Jahrhunderte.
KONTROVERSE
Bei der Kontroverse "hochsensibel oder hochsensitiv?" geht es aber nicht um den Gebrauch von verschiedenen Ausdrücken für ein- und dieselbe Sache, sondern um verschiedene Interpretationen, welche in die beiden Begriffe hochsensibel und hochsensitiv hinein gelegt werden: der ältere Begriff hochsensibel soll nach dieser Theorie nur einen Teilbereich des Phänomens umschreiben, hochsensitiv hingegen sei der umfassendere Begriff (Birgit Trappmann-Korr, "Hochsensitiv - Einfach anders und trotzdem ganz normal", S.27). Diese Unterscheidung, welche sich von Elaine Arons Wortwahl ableitet, ist m.E. nicht wirklich nachvollziehbar, da die englische und die deutsche Sprache wie gesagt verschiedene Wege gegangen sind: und dies macht es fraglich, direkte Vergleiche mit Elaine Arons Wortgebrauch anzustellen: erstens macht Aron selber keine solche Unterscheidungen, und zweitens hat sie im Englischen wie gesagt nur das Wort "sensitive" zur Verfügung (siehe oben).
Im Lauf der weiteren Sprachentwicklung könnten sich zwar im Deutschen für hochsensibel und hochsensitiv durchaus einmal verschiedene Bedeutungen heraus kristallisieren: praktisch gibt es zur Zeit noch keine Anhaltspunkte dafür, es herrscht vielmehr ein "Chaos der Bedeutungen":
Wenn man Fachpersonen und Laien um eine Unterscheidung der beiden Begriffe bittet, ergibt dies bis jetzt ein extrem uneinheitliches Bild mit kaum übereinstimmenden Worterklärungen.
Ebenso scheint auch jedes Lexikon bezüglich "sensibel" und "sensitiv" wieder eigene Bedeutungen anzubieten. Vielleicht spielen auch regionale Unterschiede mit? Da der Pionier im deutschsprachigen Raum, Georg Parlow, zudem wie bereits erwähnt den Ausdruck "hochempfindlich" bekannt gemacht hat, müsste ja diese Bedeutung auch noch genauer festgelegt werden, was zu einer zusätzlichen Komplizierung führen könnte.
Für hochsensitiv spricht jedoch meines Erachtens ein anderer Punkt: hochsensibel könnte mit der Zeit zum abgedroschenen populärwissenschaftlichen Ausdruck werden, wie es - als Beispiel aus einem ganz anderen Bereich - mit dem Ausdruck "hysterisch" geschehen ist. Die Wissenschaft liess hysterisch später als veraltetet fallen und wählte stattdessen histrionisch - in Abgrenzung zum "Volksmund".
Ich könnte mir theoretisch durchaus vorstellen, dass sich bei unserem Thema später für eine solche wissenschaftliche Abgrenzung hypersensitiv - oder schlicht "sensitiv" gut eignen würde.
Wohl zu Recht hat - wie oben schon erwähnt - Elaine Aron inzwischen im Englischen einen neuen wissenschaftlichen Ausdruck geprägt: "Sensory-Processing Sensitivity (SPS)".
Wie gesagt: im Deutschen haben wir noch keine klare, einheitliche Begriffsfindung, aber wir wissen, dass Sprache etwas Lebendiges ist und dass Begriffe und ihre Bedeutungen sich immer auch wandeln können. Darum wird das Beste wohl sein, weiter zu forschen und kritisch-offen zu bleiben für alle Argumente.
Siehe zu diesem Thema auch die obige Frage: "Gibt es nicht einen besseren Ausdruck für 'Hochsensibilität'?"
Wie kann ich eine HSP, die nichts von Hochsensibilität wissen will, für das Thema sensibilisieren?
Frage einer Leserin: "Ich habe wieder einmal im Internet gestöbert, um Hilfe für unsere erwachsene Tochter zu finden. Ich möchte sie als Mutter besser verstehen und mich verständnisvoller unserer Tochter gegenüber verhalten. Jetzt, da ich auf ihre Seite gestoßen bin, bin ich fest davon überzeugt, dass unsere Tochter hochsensibel ist. Sie lehnt aber jede Hilfe und Unterstützung ab und will nichts vom Thema wissen. Wie können wir unserer Tochter ihre Webseite zukommen lassen, ohne das sie eine Hilfestellung ablehnt?"
Antwort:
Da Ihre Tochter erwachsen ist und offenbar ablehnend auf elterliche Ratschläge und Vorschläge reagiert, sehe ich momentan keine Möglichkeit, wie Sie ihr das Thema nahebringen könnten.
Eltern haben die schwere Aufgabe, das eigene Kind - wenn es erwachsen und zurechnungsfähig ist - loszulassen. Auch wenn Sie aus Ihrer Sicht denken, "das wäre jetzt sehr wichtig für unsere Tochter, das müsste sie unbedingt lesen..." Denn wenn sich Ihre erwachsene Tochter nicht aus eigenem Interesse einem Thema öffnen will, kann dies nicht erzwungen werden.
Glauben Sie mir, ich weiss, wie schwierig das manchmal ist! Ich habe auch erwachsene Kinder und musste sukzessive einsehen, dass der Kontakt zu ihnen viel intensiver und schöner ist, wenn ich sie ihren eigenen Weg gehen lasse und nur dann rate, wenn ich um Rat gefragt werde. Dabei halfen mir meine Erinnerungen, dass ich früher zeitweise auch ablehnend auf Ratschläge der älteren Generation reagiert hatte, als ich ihrem Einflussbereich entwachsen war.
So halte ich mich jetzt zurück mit Rat, wenn ich nicht gefragt werde - und übe mich darin, mich für 'jüngere Lebensansichten' zu interessieren und mich nicht aufzudrängen. Nur so kann die Beziehung leben zwischen uns, - im gegenseitigen Akzeptieren.
Das ist das Einzige, was ich in so einem Fall empfehlen kann - aus dem Wissen heraus, dass man das Vertrauen seiner erwachsenen Kinder verliert, wenn man ihnen etwas aufdrängen will, was sie nicht wollen.
Dass Sie selber Ihre Tochter nach der Lektüre der Website jetzt viel besser verstehen, ist natürlich für Sie als Mutter trotzdem eine positive Grundlage für den zukünftigen Kontakt zu Ihrer Tochter: Aus tieferem Verständnis heraus kann sich höhere Akzeptanz entwickeln.
Auch in weniger engen Beziehungen und Freundschaften kann man nicht mehr tun, als jemanden auf das Thema "Hochsensibilität" ganz schlicht aufmerksam zu machen: Für ein Lernthema, das einen berühren soll, muss man generell offen sein, - es muss im "richtigen Moment" bei uns ankommen, um den berühmten "Aha-Effekt" auszulösen. Auf Kommando ist dies nicht möglich.
Verwirrung: Woher kommen die unterschiedlichen Auslegungen und Typologien beim Thema Hochsensibilität?
Eine Leserin schreibt: "...ich beschäftige mich seit einigen Wochen mit dem Thema HS und habe mich bereits durch mehrere Bücher und Webseiten gearbeitet. Ich bin sehr froh, auch auf Ihre Seite gestoßen zu sein, weil sich hier einige wesentliche Dinge für mich geklärt haben. Ein paar Fragen sind dennoch offen geblieben, und ich hoffe, Sie können mir dabei helfen:
HS wird von vielen AutorInnen grundsätzlich mit einer starken Intuition, tiefen Gefühlen und einem guten Einfühlungsvermögen in Verbindung gebracht.
Demgegenüber habe ich aber auch die Aussage gefunden, HS sei lediglich eine neurologische Besonderheit (ein schwächer ausgebildeter Wahrnehmungsfilter), beschreibe also KEINE besondere emotionale Fähigkeit. Die Autorin Eliane Reichardt z.B. schreibt, wenn man in ihrem Test unter "Sensorisches" und "Körperliches" nichts angekreuzt habe, sei man womöglich gar nicht hochsensibel, sondern es handle sich vielmehr um eine hohe emotionale Sensibilität. Und dann habe ich von wissenschaftlicher(?) Seite her aber auch noch die Unterteilungen in logische, sensorische und emotionale Hochsensibilität gefunden...
Ich hatte anfangs gedacht, mich beim Thema HS gefunden zu haben, bin jetzt aber unsicher, weil mein Rückzugsbedürfnis nicht von zuviel Lärm o.Ä. verursacht wird, sondern eher von einer zu starken "mentalen" Interaktion mit anderen Menschen. Bei Ihnen ist dieses Verhalten ja auch sehr schön beschrieben. Woher kommen die unterschiedlichen Auslegungen, gibt es einfach noch zu wenige einheitliche Definitionen, oder habe ich irgendwas falsch verstanden?"
Fast gleichzeitig fragt ein Leser, ob es sich beim 'Leptosomen' in der Typenlehre von Kretschmer (siehe Wikipedia) wohl um die Hochsensiblen handle...
Antwort:
Hochsensibilität ist wissenschaftlich gesehen nach wie vor ein junges Forschungsgebiet. So ein neues Fachgebiet wird zuerst - oft über viele Jahre hinweg! - in der Fachpresse kontrovers diskutiert, und es kann viele Jahre dauern, bis sich ein wissenschaftlicher Konsens herausgebildet hat. Aus diesem Grund gibt es nach wie vor viele uneinheitliche Definitionen: Dass Sie da "den roten Faden verlieren", liegt also nicht an Ihnen.
Darum halte ich persönlich auch noch nicht viel von neuen Typologien, die über Hochsensibilität aufgestellt werden und frage mich manchmal, auf welche Forschungen sich die Autor/innen stützen? Wir sind in diesem jungen Fachgebiet - wissenschaftlich gesehen - zwar schon viel weiter gekommen, aber Grundlagen über Typologien finde ich nach wie vor nirgends wirklich belegt. Bei der HS-Pionierin Elaine Aron, die dem Phänomen einer erhöhten Sensibilität als erste einen Namen gegeben - und die sich seit den Neunzigerjahren in intensiver Forschung mit dem Thema auseinandergesetzt hat, habe ich bis jetzt auch noch keine HS-Typologien gefunden. Die Suche nach verschiedenen Ausdrücken und Typenmodellen scheint im Bereich HS ein "deutschsprachiges Bedürfnis" zu sein. Da jedoch nicht einmal Einheitlichkeit herrscht, empfinde es zum jetzigen Zeitpunkt als verfrüht und verwirrend, dass immer wieder neue Theorien aufgestellt werden. Es kommt mir so vor, als wolle man bei einem Haus zuerst das Dach bauen, anstatt geduldig am Fundament weiterzuarbeiten.
Es wäre sehr schade, wenn Sie von dem Gefühl, "sich bei HS gefunden zu haben" weggingen, weil verschiedene Thesen und Theorien nicht zusammenpassen und Sie verwirren. "Sich in einem Thema finden" ist etwas Starkes - das geschieht nicht einfach fälschlicherweise, das hat einen Grund. Gehen Sie wenn möglich weiter auf diesem Weg, auf dem Sie dieses gute Gefühl des "Sich Findens" haben und achten Sie mehr darauf, was Sie anspricht, was Ihnen gut tut - als auf kontroverse Aussagen.
Noch zu Ihren konkreten Beispielen:
"HS wird von vielen AutorInnen grundsätzlich mit einer starken Intuition, tiefen Gefühlen und einem guten Einfühlungsvermögen in Verbindung gebracht." Das stimmt grundsätzlich, - vergessen Sie aber nie, dass man auch als HSP ein Individuum bleibt, das nicht einfach in ein Schema gezwängt werden kann und das von seinem individuellen Leben entscheidend geprägt worden ist. Das gilt für Nichthochsensible wie für Hochsensible...
Ausserdem steht Ihr obiger Satz eigentlich nicht im Widerspruch zur Aussage "...HS sei lediglich eine neurologische Besonderheit...". In diesem Satz stimmt nur das abwertende Wort "lediglich" nicht: Eine 'neurologische Besonderheit' hat von Geburt an einen enormen Einfluss auf das ganze menschliches Wesen und kann es ganz entscheidend prägen - bis hin zu "besonderen emotionalen Fähigkeiten".
Lassen Sie sich nicht verwirren von Aussagen und Einteilungen: In der Pionierphase eines neuen Forschungsgebiets (und noch weit über diese hinaus) können wir höchstes Hypothesen aufstellen. Ausserdem gibt es kaum Menschen, die hundertprozentig einem einzelnen Typenmodell entsprechen, wir sind ein "ganz eigenes Ganzes". Grübeln Sie also nicht mehr darüber nach, ob Sie wohl "logisch-hochsensibel", "sensorisch-hochsensibel" oder "emotional-hochsensibel" seien, sondern pflücken Sie sich aus diesem Garten die "Blumen", die Sie ansprechen und warten Sie mit den anderen, bis wir ein stärkeres wissenschaftliches Fundament erreicht haben bei unserem Thema.
Zur zweiten Frage (Typenlehre Kretschmer): Es ist zwar sicher interessant, Hochsensibilität auch im Zusammenhang mit alten Typenlehren anzuschauen, ich kann dies jedoch zu wenig beurteilen.
Hochsensibler Mann: Wie erkläre ich meinen Kollegen, dass ich hochsensibel bin?
Ein Leser schreibt: "Wie erkläre ich meinem unmittelbarem Umfeld, also Kollegen z.B., dass ich HS bin und ich stark an Überreizung bei hellem Licht z.B. leide?"
Antwort:
Es gibt heute viele Informationsseiten zum Thema Hochsensibilität. Sie können Kollegen, mit denen Sie direkt zu tun haben, z.B. auf die Website www.hochsensibel.org hinweisen. Der deutsche Jurist Dr. Michael Jack hat diese gegründet: sie eignet sich als klare und auch wissenschaftlich fundierte Seite zur Information für 'Normalsensible' - und zeigt sich auch im Layout nüchtern, ohne Bilder und Schnörkel, was je nach beruflichem Umfeld wichtig sein kann.
Zum Beispiel gibt es einen Infotext zur Einführung, auf den Sie interessierte Kolleg/innen hinweisen könnten, - oder Sie könnten diesen auch ausdrucken, das kommt natürlich auf Ihr Team an, ob da eine Vertrauensbasis besteht und Persönliches auch angesprochen wird.
Oder vielleicht sehen Sie sich mal gut um, ob Sie andere Hochsensible entdecken in Ihrem Umfeld, die vielleicht unter ähnlichen Schwierigkeiten leiden. Zu zweit, zu dritt... ist man schon bald eine Lobby, die mehr bewirken kann als ein einzelner. (Bedenken Sie dabei: ca. jeder fünfte Mensch ist theoretisch hochsensibel.)
Eventuell müssten Sie auch Vorgesetzte einmal um Änderungen an ihrem Arbeitsplatz bitten und erklären, warum dies für Ihre Arbeit wichtig ist.
Heutzutage ist es - wegen der Corona-Pandemie - ja auch einfacher geworden, zumindest temporär um Homeoffice zu bitten.
Es kann natürlich sein, dass Sie in einem unpersönlichen und stressigen beruflichen Umfeld sind, wo Sie das Gefühl haben, es sei nicht möglich, das Arbeitsteam über Hochsensibilität zu informieren, weil Sie Angst haben, dann als "Mimose" zu gelten. Gerade für Männer ist dies ohnehin weniger einfach als für Frauen, weil leider immer noch veraltete männliche Idealbilder bestehen. Falls der Mut zu einer Erklärung also noch fehlen sollte, gibt es immer noch die Möglichkeit, in Ihrem Fall eine Lösung für das zu grelle Licht zu erwirken, indem Sie klarlegen, dass Sie einfach sehr lichtempfindliche Augen haben.
Natürlich können und sollen Sie auch eigene Lösungen finden. Warum nicht eine leichte Sonnenbrille tragen gegen die Lichtempfindlichkeit? Und bei Lärm Ohrstöpsel benutzen? Sich selber schauen ist ein sehr wichtiger Punkt. Nicht nur "für die andern da sein", sondern den Mut haben, für sich einzustehen.
Vielleicht finden Sie auch wertvolle Informationen in einem Buch zum Thema. Googeln Sie doch zum Beispiel "Bücher über Hochsensibilität im Beruf". Oft findet man in solchen Büchern wertvolle Tipps.
Es gibt jetzt auch vermehrt Bücher über hochsensible Männer, z.B. "Hochsensible Männer: Mit Feingefühl zur eigenen Stärke", Taschenbuch von Tom Falkenstein.
Auf dieser Website gibt es unter Aktuell einen Beitrag von Christoph Leicht, "Hochsensibilität und Beruf", welcher in etwas überzeichneter Art ein Idealbild des hochsensiblen Menschen im Beruf zeichnet. Damit macht er jedoch aufmerksam auf die Potenziale, welche eigentlich oft in einer hochsensiblen Veranlagung verborgen sind und oft unterdrückt werden.
Ich finde es wichtig, dass hochsensible Männer aus ihrem Schatten treten und lernen, zu ihrer Sensibilität zu stehen und Sie als Kraft zu sehen. Es ist ein Irrtum, dass Sensibilität etwas mit "Schwäche" zu tun haben soll. Aber es braucht ganz eindeutig ein gutes Selfmanagement, damit man unter Störungen aus dem Berufsumfeld nicht zu sehr leidet.
introvertiert oder extravertiert? ... oder vielleicht ambivertiert?
Frage: Liebe Frau Schauwecker, nach einer Auseinandersetzung mit meinen Mitmenschen bin ich aufgrund von Selbstzweifeln auf dieser Seite gelandet. Ich habe vieles an Text durchgelesen und die Tests zur Hochsensibilität gemacht. Laut diesen Tests wäre ich hochsensibel. Und einige Aspekte der Hochsensibilität besitze ich zweifelsohne.
Doch mich macht einiges sehr stutzig: Ich habe im Gegensatz zu vielen Texten der Personen aus dem Forum einen ausgesprochen grossen Freundeskreis. Ich wage sogar zu behaupten, ich kenne sehr viele Menschen, die ich unglaublich mag. Ich würde zwar nie eine Bühne betreten, denke aber ich bin eher extrovertiert und brauche mein soziales Umfeld. Ich mag mein chaotisches Leben, und jeder Tag ist anders bei mir. Ich kann gut improvisieren und wohne in einer WG. Dennoch brauch ich sehr oft meinen Rückszugsort, ich komm nicht klar, wenn es jemanden aus meinem Umfeld schlecht geht und hab das Gefühl, um mich herum sind nur unsensible Holzköpfe. Und um Gefühle zu verarbeiten brauche ich länger als andere.
Reicht das wirklich um hochsensibel zu sein? Ich bin mir bewusst, dass dies sicher nicht einfach so zu beantworten ist. Deshalb forumliere ich meine Frage noch einmal anders: Kann eine Hochsensibilität bestehen, wenn lediglich emotionale Bereiche (vielleicht) stärker ausgebildet sind, nicht aber die sensorischen?
Herzlichen Dank für Ihre Mühe und ich würde mich über eine Antwort freuen. Mit lieben Grüssen, B.
Antwort:
Liebe Frau B. Es ist einer der grossen Irrtümer, dass hochsensible Menschen alle etwa gleich sein sollten - und dass bei allen möglichst viele Eigenschaften, welche HSP zugeschrieben werden, vorhanden sein sollten. Dies stimmt selbstverständlich nicht: Hochsensible sind auf ihre Art genau so vielfältig und "normal" wie 'Normalsensible'. Es gibt einfach weniger von uns: wir sind eine Minderheit von etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, und Sie wissen ja, dass man generell Minderheiten genau umschreibt und festlegt, wenn man zur Mehrheit gehört.
Was Intro- und Extraversion anbelangt, haben Sie recht, dass eine Mehrheit der Hochsensiblen zur Introversion neigt. Dies belegte Elaine Aron, die Pionierin im Bereich HS - mit jahrelanger intensiver empirischer Forschung. Sie hatte unzählige Interviews mit Hochsensiblen und Normalsensiblen geführt und kam auf einen Prozentsatz von ca. 70 Prozent introvertierten und 30 Prozent extravertierten HSP. Das bedeutet doch schon mal, dass Sie zu diesen 30 Prozent der extravertierten HSP gehören könnten. Ich will natürlich auf Grund einer E-Mail keine "Diagnosen" stellen, aber Ihr Schreiben spricht durchaus von hochsensiblen Zügen.
Es gibt über solche Gegensatzpaare wie Introversion - Extraversion auch folgende Theorie: Wenn eines der Extreme dominiert, heisst das nicht, dass man das andere Extrem nicht auch in sich tragen und durchaus einmal ausleben kann. Ich bin zum Beispiel ein äusserst introvertierter Mensch, lebte aber immer wieder einmal auch meine extravertierte Seite aus, ich trat sogar - nach anfänglichen grossen Widerständen - jahrelang mit eigenen Liedern als Liedermacherin auf, nachdem "Vorsingen" zuvor immer etwas vom Schrecklichsten für mich gewesen ist.
Was ich auch wichtig finde: Wenn man auf der "Suche nach sich selber" ist, soll man den Themen folgen, die einen schlicht und einfach ansprechen und interessieren. Sie sind auf das Thema Hochsensibilität gestossen, es spricht Sie an und interessiert Sie: das genügt doch! Sie brauchen dazu keine Tests und Beweise. Übrigens sagt Elaine Aron, dass man auch hochsensibel sein kann, wenn nur ein bestimmter Bereich der Persönlichkeit stark hochsensibel ausgebildet ist. Es gibt nichts, was es nicht gibt:-). Habe ich Ihre Frage mehr oder weniger beantworten können? Herzliche Grüsse, Marianne Schauwecker
Ergänzung: Ambiversion
Inzwischen bin ich auf den noch nicht so bekannten Begriff der Ambiversion gestossen. Dieser hilft sicher vielen weiter, welche sich wie Frau B. als introvertiert UND extravertiert wahrnehmen. C.G. Jung, welcher die Begriffe Introversion und Extraversion (heute oft auch Extroversion) geprägt hat, sprach zwar noch nicht von Ambiversion, wies aber darauf hin, dass niemand hundertprozentig introvertiert oder hundertprozentig extraveriert sein könne, sondern dass zudem eine grosse "Grauzone" existiere - von Menschen, welche beide Eigenschaften gleichzeitig aufweisen. M.Sch.
Anstatt hier lange Erklärungen zu verfassen, verweise ich auf folgende Website, welche "ambivertiert sein" gut erklärt:
https://wanderlust-introvert.com/ambivertiert-erklaert/
Die hier erwähnte Website https://wanderlust-introvert.com/ enthält übrigens auch viele Tipps für Introvertierte!
Letztes Update: 17.11.2021